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Studien von Zeitfragen

USA und EU


Die USA, der Lissabon-Prozeß und Europa


Von Arno Tausch

(Executive Summary zum
Besprechungs-Essay:
US-amerikanisches und europäisches Gesellschaftsmodell)


Die Unterschiede im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zwischen den USA und Europa waren zwar immer ausgeprägt, gewinnen aber seit dem Zusammenbruch des gemeinsamen Gegenmodells in der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa und dem Lissabon-Prozess zunehmend an Bedeutung. Letztens hat diese Frage auch zu Diskussionen im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU geführt. Der vorliegende wertende und vergleichende Bericht über eine neue Studie der Arbeiterkammer Wien versteht sich als äußerst kontroversieller Beitrag zu dieser Diskussion.

In der festgefahrenen und oftmals sehr hart geführten wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen dem neoliberalen und dem keynesianischen Modell beschreitet die hier sehr ausführlich besprochene Publikation der Arbeiterkammer Wien nunmehr neue Wege.

Keinesfalls sollte es in Europa, so die Arbeiterkammer, zu einem Abbau des Sozialstaates kommen. Ein umfassender Sozialstaat, dem der Sozialschutz als BürgerInnenrecht zugrundeliegt, ist eines der wesentlichen konstitutiven Elemente Europas. Die Europäische Kommission könnte ein Garant dafür sein, dass dieses Europäische Sozialmodell auch weiterhin Bestand haben kann, wenn sie sich mit ihren Ansätzen gegen die Angriffe, so die Arbeiterkammer, der auch in Europa stärker werdenden Neokonservativen gepaart mit Neoliberalen durchsetzen kann. Für die Kommission stehe nämlich die Wichtigkeit eines umfassenden Sozialschutzes außer Zweifel.

In seiner Analyse über die Studie der AK zeigt dann der Autor mit eigenen, großteils auf Weltbank, ILO, und University of Texas Inequality Project basierenden Daten, dass es - wie die Studie der Arbeiterkammer richtig betont, - schon so ist, dass der Zentralstaat in den sehr föderalen USA kleiner ist als in vielen Staaten Europas. Aber die unzureichende Erfassung des föderalen Charakters der USA ist eine der methodischen Probleme jedes Vergleiches staatlicher Politik der USA mit Europa. In der Ära des Clinton-Booms hat Europa die Staatsquoten wesentlich erhöht und die Expansion im Kondratieff’schen Zyklus versäumt. Erst spät steuerte die Politik in einigen Staaten gegen, während in den USA der Abbau der Staatsquoten – vermittelt über die Friedensdividende der Clinton-Ära – schon früher begann. Die vorhandenen Daten zeigen aber, dass die Gesamtstaatsausgaben in den USA bei 38.50 % liegen wobei die Bundesstaaten und Gemeinden fast 18 % des BIP aufwenden.

Empirisch unzureichend wurde nach Ansicht des Autors in der Studie der AK ansonsten das Problem der Armut dokumentiert , weil sich die Studie der AK vor allem auf einen Vergleich von 11 Staaten stützt, der z. B Portugal und Griechenland, 2 EU-Staaten mit problematischeren Armutsverhältnissen, ausklammert. Statistiken der USA beinhalten stets die von traditionell von Armut gekennzeichneten, als Rohstoffproduzenten mit Sklavenwirtschaft vor 1865 in die Weltwirtschaft integrierten Südstaaten natürlich, während ein Vergleich von 11 zumeist weiter entwickelten Europäischen Staaten lediglich mit den entwickelten Staaten des Nordens, Ostens und Westens der USA legitim wäre.

Aus analytischer sozialpolitischer Perspektive muss ferner festgehalten werden, dass beträchliche Ungleichheiten in Europa bereits vor der EU-Erweiterung existierten, die sich nach dem 1. Mai 2004 noch verschärfen. Eine rezente Studie der Kommission („Sapir-Bericht“) hat darauf hingewiesen; sie lässt u.a. den Schluss zu, dass die gesamteuropäische Ungleichheit um weitere 33 % nach der Erweiterung am 1. Mai 2004 gewachsen ist. Mit der Erweiterung sind nun Millionen Roma Bürger der EU geworden, ihre Armut ist mit der Afrikanisch-Amerikaner, Indianer und Hawaiianer in den USA durchaus vergleichbar.

In den USA sind zwar die reichsten 10 % um 15.9 mal reicher als die ärmsten 10 %, womit Amerika der 79. Staat von 127 klassifizierten Nationen ist, und kein EU-Staat ist schlechter klassifiziert ist als die USA. Einige EU-25 Staaten – darunter die 7 EU-Staaten Tschechische Republik, Finnland, Slowenien, Schweden, die Slowakei, Luxemburg, und Deutschland weisen Reichtumsunterschiede zwischen den ärmsten 10 % und den reichsten 10 % auf, die weniger als das 7-fache betragen, aber in 12 EU-Staaten – das sind Österreich, Belgien, Litauen, Dänemark, Ungarn, Lettland, den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Polen, Irland, und Bulgarien betragen sie bereits das 7 – bis 10-fache, und in 4 EU-Staaten Griechenland, Italien, dem Vereinigten Königreich und Portugal, ebenso das 10-fache oder mehr als das 10-fache. Für insgesamt 127 Staaten der Welt legten die Vereinten Nationen Daten für zumeist das Ende der 90er Jahre vor – nur 7 EU-Staaten liegen unter den besten 20 Staaten der Weltgesellschaft, 9 Staaten von Rang 21 bis 40, 5 Staaten auf Rang 41 bis 60, und Großbritannien, und Portugal belegen mit den USA die Ränge 61 bis 80.

Ein wesentlicher Punkt für die künftige Debatte wird auch sein, welche Rolle 3-Säulen-Pensionsreform-Modelle bzw. sonstige, die Kapitaldeckung in der Altersvorsorge begünstigende Systeme diesseits und jenseits des Atlantik spielen. Das US-Pensionssystem ist nach Ansicht aller befassten Experten zwar ein reines Umlagesystem, es zeichnet sich aber durch eine große Einfachheit und Klarheit aus und hat derzeit als Beitragsgrundlage nur 6.2 % des Bruttoeinkommens bei den Arbeitgeber, und 6.2 % des Bruttoeinkommens bei den Arbeitnehmern.

In ihrer qualitativen Einschätzung sagt Streissler, dass infolge der Bevölkerungsentwicklung wahrscheinlich alle Pensionssysteme in den kommenden Jahrzehnten vor neue Belastungen gestellt sein werden. Nichtsdestotrotz konnte das US-System mit dieser bislang offensichtlich am stabilsten umgehen. Das US-Pensionssystem ist im Grunde am stärksten nach „europäischen“ Maßstäben gebaut, da es bis zu einem gewissen Ausmaß Lebensstandardsicherung mit Umverteilung vereint, was keines der betrachteten europäischen Systeme erreicht. Das Pensionsantrittsalter zeigt, dass ältere ArbeitnehmerINNen in den USA noch immer mehr geachtet werden als in Europa. mehr