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Deutschland
Studien von Zeitfragen

Deutschland



 

Internationale Zusammenarbeit,

Frieden und Abrüstung,

deutsche Politik für Europa

Ein geostrategisches Konzept für die WASG
 

Von Hans-Jochen Scholz (*)



Einleitung und Begründung:

Im bisherigen Programmentwurf der WASG wird nicht erkennbar, dass die politischen Prozesse hierzulande in ein weltpolitisches Kräftespiel eingebettet sind. Die unter der rot-grünen Metapher „Agenda 2010“ einschließlich der „Hartz-Gesetze“ vorgenommenen Weichenstellungen haben Bezugspunkte zur Geopolitik, zur (fossilen) Energieversorgung, zum Weltwirtschafts- und Finanzsystem und zu dem weltweiten wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, der Begründungen liefert, mit denen spezifische Kapitalinteressen überdeckt werden.

Der bisherige internationale/außenpolitische Teil des Programms liefert keine ausreichende Analyse der geostrategischen Motive, Auseinandersetzungen und Sicherheitsrisiken. Wenn wir als Partei ernst genommen werden wollen, die sich auch konsequent für Frieden einsetzt, genügt es nicht, dies lediglich zu bekunden. Wir müssen vielmehr in der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern und der Öffentlichkeit argumentativ und konzeptionell überzeugen. Dies schließt eine völkerrechtliche Position ein, die sich ohne wenn und aber am Grundgesetz orientiert.

 

Machtverhältnisse

Die Energie-, Ressourcen- und (Absatz-)Marktinteressen der entwickelten Industriestaaten bestimmen Takt, Tempo und Richtung der Entwicklung der Staaten der Welt und ihrer Beziehungen untereinander. Wirtschaftlich, militärisch, politisch, gesellschaftlich, juristisch, kulturell, moralisch. Dominierend sind hierbei die USA, da sie über die diese Beziehungen durchdringende Weltleitwährung, den US Dollar, verfügen und die relevanten internationalen Gremien - IWF, Weltbank, WTO, G7/8, UNO und NATO - zu ihren Gunsten beherrschen. Sie nutzen zudem ihre historisch einmalige militärische Überlegenheit, um diese Position auszubauen und ihr gegebenenfalls Nachdruck zu verleihen.

In diesem Beziehungsgeflecht spielen die Mercosurstaaten Iberoamerikas, die Tigerstaaten Südostasiens, Indien, Japan und China eine zunehmend wichtigere Rolle, ohne ihre wachsende ökonomische Bedeutung in anderen Politikfeldern zur Geltung zu bringen. Afrika, die arabischen und die ehemaligen GUS-Staaten sind trotz enormen Entwicklungspotentials lediglich Objekte der Rohstoff- und Absatzinteressen der entwickelten Industriestaaten und der EU. Russland nimmt militärisch/politisch wegen seiner Rolle im 20. Jahrhundert eine Sonderstellung ein.

Zäsur

Zu Beginn der 1990er Jahre setzte mit der Aufnahme weiterer Mitglieder, mit der Einführung des Euros und dem Einsetzen eines zuvor nie geahnten Integrationsprozesses eine Zäsur in der globalen Positionierung Europas ein. Insbesondere Deutschland entwickelte sich dabei zum Motor einer zunächst den US-Interessen nicht zuwider laufenden Entwicklung - militärisch, ökonomisch, politisch. Der Zeitpunkt ist absehbar, zu dem die NATO als transatlantisches Bindeglied bedeutungslos wird und andere, neue Machtoptionen Platz greifen. Europa steht dabei am Scheideweg,

- als Friedens-/Zivil- oder als Militärmacht zu agieren

- das anglo-amerikanische Gesellschaftsmodell zu übernehmen oder den europäischen Sozialstaatsgedanken zu bewahren und

- vor der Frage einer Kooperation oder zunehmenden Rivalität mit den USA. Die besondere historische, aber auch ökonomische/politische Position Deutschlands weist unserem Land und seiner Politik für den künftigen Kurs der EU eine besondere Verantwortung zu. Ihn zu gestalten und dabei einen friedlichen und gerechten Weg zu wählen, wird die schwere und historisch gebotene Aufgabe mindestens des kommenden Jahrzehnts sein.

EU beispielgebend ausbauen

Die WASG setzt sich für eine beispielgebende EU-Politik ein, die von folgenden Grundsätzen geprägt ist: Herrschaft des Rechts, Interessensausgleich, gegenseitige Sicherheit und präventive Politik mit diplomatischen und wirtschaftlichen Mitteln. Das bedeutet auch die Staaten einzubeziehen, die politisch nicht nach westlichen Vorstellungen organisiert sind. Für dieses Kontrastprogramm müssen auch die USA gewonnen werden. Nur so wird Europa Partner gewinnen, mit denen die Herausforderungen der kommenden Jahre gemeinsam bewältigt werden können. Diese sind:

- Die Auflösung noch bestehender Blockkonfrontationen,

- das Verhindern neuer Rivalitäten zwischen neuen Machtzentren,

- die Gestaltung eines Stabilitätsraumes der Mittelmeer-Anrainerstaaten und,

- die humane, weltweite Versorgung der Menschen mit notwendigen materiellen und immateriellen Gütern, ohne künftige Generationen nachhaltig zu beeinträchtigen,

- die Beseitigung der Schuldenfalle.

Zu diesen Herausforderungen gehört, die interessengeleiteten Bedrohungsanalysen und -szenarien nüchtern gegen die tatsächlichen Bedrohungen abzuwägen und das Hauptaugenmerk auf Grundgüter wie Wasser, Bildung, Klima sowie auf Hunger, Aids und andere Krankheiten, Armut und den Schutz vor Naturkatastrophen zu richten.

Rückschritt umkehren

Außenpolitik ist Interessenpolitik. Die deutsche Außenpolitik setzt seit Beginn der 1990er Jahre, und verstärkt seit dem Regierungswechsel zu Rot-Grün, auf militärische Mittel. Für diesen historischen Rückschritt wird die Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren, hochtechnisierten Interventionsarmee umgebaut. Damit wird die weltweite Anerkennung verspielt, die sich Deutschland durch die machtpolitische Zurückhaltung seit der großen Koalition erworben hatte. Gleichzeitig werden Mittel gebunden, die für die Instrumente einer europäischen Friedenspolitik fehlen. So werden erst die Probleme geschaffen, die vorgeblich bekämpft werden sollen. Wir bestehen darauf, dass dieser historische Rückschritt korrigiert wird und deutsche Streitkräfte ausschließlich im Rahmen des Urteils des BVerfG von 1994 und nur gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.06.2005 eingesetzt werden dürfen. Deswegen sind alle Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden. Die deutsche Politik ist aufgefordert

- sich wieder verstärkt für Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Begrenzung von Rüstungsexporten einzusetzen,

- eine signifikante Umschichtung der Mittel zugunsten nichtmilitärischer Sicherheitskräfte/Krisenprävention vorzunehmen,

- die seit den Balkankriegen vorsätzlich marginalisierte OSZE wieder zum Eckpfeiler einer europäischen Sicherheitsarchitektur zu machen,

- die gewollte Erodierung des Völkerrechts zu verhindern und proaktiv gegen die Zerstörung des zwischenstaatlichen Gewaltverbots und des Nichteinmischungsprinzips der Charta der VN vorzugehen und

- sich insbesondere an die eingegangenen, völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen aus dem 2Vertrag zu halten. Weltraumrüstung, Aufrüstung der EU und eine europäische Rüstungsagentur als global player haben in einem solchen Konzept keinen Platz. Medial unterstützten Umdeutungsversuchen von Kriegen und Vertragsbrüchen halten wir die glasklaren Formulierungen des Völkerrechts entgegen.

Wirtschaft – Weltpolitik

Europäische Wirtschaftspolitik darf sich nicht allein an den kurzfristigen Interessen der Europäer orientieren, sondern muss sich in den oben ausgeführten Kontext einer friedlichen und sozialen Welt integrieren.

Der EU-Verfassungsvertrag steht dem entgegen, weil er den neoliberalen Kurs der EU-Regierungen festschreibt. Wir hingegen erwarten von der deutschen EU-Politik

- daß sie ihren Einfluss für eine EU einsetzt, die den solidarischen Ausgleich mit den Ländern der »Dritten Welt« und den fairen Handel mit allen Staaten als aktive Friedenspolitik begreift,

- daß sie deswegen Initiativen zur Demokratisierung von IWF, WTO und Weltbank und zur Stärkung der UNO und ihrer Unterorganisationen mit dem Ziel verbindlicher Regelungen für Menschenrechte, grundlegende Arbeitsrechte, soziale und ökologische Standards sowie

- Initiativen für die Änderung der jetzigen Weltwirtschaftsordnung ergreift und demzufolge

- Zurückhaltung mit Blick auf deutsche Machtinteressen im VN-Sicherheitsrat übt.

Ökonomische Globalisierung ist Dollarisierung

Das Weltwirtschaftssystem ist auf die Interessen der USA hin ausgerichtet. Alle wichtigen Güter, einschließlich von Öl/Gas, werden in der Weltleitwährung Dollar fakturiert. Die nationalen Volkswirtschaften von Industrie- und Schwellenländern sind einseitig auf den Export ausgerichtet, weil derzeit nur so

- die eigene Währung abgesichert werden kann,

- die erforderlichen Devisen erwirtschaftet werden können, um den benötigten Import einschließlich der Energie bezahlen zu können,

- die Schulden pünktlich bedient werden können,

- der Dollar als Leitwährung erhalten werden kann.

Dieses System führt zu ungezügelter Konkurrenz im Welthandel, bei Investitionen und Standortkonditionen, beim Ressourcenzugang einschließlich fossiler Energien sowie zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen innerhalb der Staaten und zwingt sowohl die EU-Länder als auch die Exportländer außerhalb der EU zum Erwerb von US -Staatsanleihen in Höhe von mehreren hundert Mrd. Dollar pro Jahr. Gleichzeitig entsteht eine fatale Abhängigkeit der Weltkonjunktur von der US-Wirtschaft, die weitgehend zu einer Importwirtschaft degeneriert ist. Damit ist dieses System die Hauptursache für bestehende und künftige kriegerische Konflikte. Schwellen- und Entwicklungsländer sind über den „Washington Consensus“ zusätzlich dem Diktat der reichen Länder und der internationalen Banken ausgesetzt. Sie haben in dieser Weltwirtschaftsordnung keine Chance, ihre Volkswirtschaften zum Wohl ihrer Gesamtbevölkerung und nach ihren kulturellen Eigenheiten zu entwickeln. Die derzeitige Entwicklungszusammenarbeit auf allen Ebenen ist damit nur ein vergebliches Kurieren am Symptom - unabhängig von der Höhe der eingesetzten Mittel.

Die deutsche Exportwirtschaft und deutsche Großbanken sind Teil dieses Systems und damit Mitprofiteure zulasten des Weltfriedens sowie der Währungsstabilität, des binnenwirtschaftlich orientierten Sektors, der Staatshaushalte, der Sozialsysteme, der Arbeitsmärkte sowie des gesellschaftlichen Zusammenhalts weltweit. Die Präambel des Grundgesetzes verpflichtet hingegen deutsche Politik, dem Weltfrieden zu dienen. Auf ein konsequentes weltwirtschaftliches Umsteuern hinzuarbeiten, liegt folglich im allgemeinen und deutschen Interesse: Indem die Ursachen systembedingter Sachzusammenhänge der heutigen Weltwirtschaftsordnung beseitigt werden, entfallen die Begründungen für den ökonomischen Kurs der deutschen Allparteienkoalition.

Alternativen

Sachzwänge sind keine Naturgesetze. Wir erwarten daher von der deutschen Politik, dass sie das Gewicht Deutschlands innerhalb der EU, der internationalen Institutionen und mit eigener Diplomatie einsetzt, um die positiven Erfahrungen des europäischen Einigungsprozesses auf die anderen Regionen der Welt zu übertragen, indem

- Iberoamerika, Asien und Afrika beim Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe und der Bildung von Wirtschaftsgemeinschaften nach EWG-Vorbild unterstützt werden,

- diese Regionen zum Aufbau gemeinsamer Währungen ermutigt werden,

- nach dem Prinzip der Reziprozität die wirtschaftliche Kooperation strategisch mit ihnen ausgebaut wird,

- ihnen so lange abgestuft Schutzmechanismen eingeräumt werden, bis sie ökonomisch auf gleicher Ebene sind,

- sie bei der Diversifizierung ihrer Währungsreserven unterstützt werden,

- materielle Unterstützung nicht an Bedingungen geknüpft wird, die einseitig den Interessen der Geberseite dienen,

- sie auch zum politischen Einigungsprozess unterstützt werden,

- ein Prozess zur Reorganisation des Weltfinanzsystems ohne Währungshegemonie und mit klarer Ausrichtung auf wirtschaftliche Entwicklung initiiert wird.

Gelingt dies, die ökologische Umsteuerung und der Erfahrungstransfer, entfallen weitgehend die Nachteile der jetzigen, exportorientierten Weltwirtschaftsordnung. Flankiert werden muss dieser Kurs jedoch von Maßnahmen, die überwiegend in der Verantwortung und Zuständigkeit der EU-Mitglieder liegen. Daraus folgt:

- Verzicht auf eine globale militärische Rolle und keine Erweiterung der EU über den derzeitigen Prozess hinaus,

- Schuldenerlass für die armen, hochverschuldeten Staaten,

- Änderung der einseitig monetären Philosophie der EZB zugunsten von aktiver Wirtschaftspolitik für qualitatives Wachstum und Arbeitsplätze,

- Unterwerfung der EZB unter den Primat der Politik.

- Modifizierung des ökonomischen Entwicklungshemmnisses EU-Stabilitätspakt,

- Energielieferverträge auf Euro-Basis,

- Dezentralisierung von Wirtschaftskreisläufen und Energieversorgung,

- massive Förderung regenerativer Energien

- Auflage eines europäischen Investitionsprogramms in den Bereichen Regionalförderung, kleine und mittlere Betriebe, Schienenverkehr, Bildung und Erziehung, Umwelt,

- Ausstieg aus den Planungen zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels (GATS), um Öffentliche Dienste sowie Zugang zu Wissen und wissensbasierten Produkten dem privaten Gewinnstreben zu entziehen,

- Einführung einer Devisenumsatzbesteuerung als Einstieg in die politische Kontrolle internationaler Finanztransaktionen und Beseitigung von Steueroasen,

- Erweiterung der Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern,

- Wahrnehmung der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung durch die Politik statt Deregulierung zugunsten der Teilinteressen der Großunternehmen,

- Beteiligung der Kapitalseite an den öffentlichen Aufgaben durch angemessene Besteuerung statt Steuersenkungen,

- Harmonisierung der EU-Finanz- und Steuerpolitik sowie Vereinheitlichung der Besteuerungskriterien,

- Stopp der Privatisierung der Sozialsysteme, ihre Erweiterung, Einführung von Mindeststandards auf hohem Niveau und Angleichung der Beitragsstrukturen,

- Einrichtung einer unabhängigen, nicht weisungsgebundenen europäischen Kartellbehörde,

- Schaffung einer unabhängigen europäischen Behörde für die Prüfung von Großprojekten auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit,

- Erweiterung der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments zur Durchsetzung demokratischer, sozialer und ökonomischer Reformen.


 

(*) Oberstleutnant a. D., zuletzt im Stab des Generalinspekteurs der Bundeswehr von 1994-2000; 12 Jahre Vertreter Deutschlands in verschiedenen NATO-Gremien; 6 Jahre in multinationalen NATO-Stäben tätig; Mitglied der Kommission Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr beim IFSH der Universität Hamburg.

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